Zur Geschichte des Landesverbandes

Viele Flüchtlinge und Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten, aus der Tschechoslowakei und aus Ost- und Südosteuropa hatten am Ende des Zweiten Weltkriegs im agrarisch strukturierten Bayern Zuflucht gefunden. Allein aus Gründen der Versorgung schlossen sie sich, oft nur regional und temporär, spontan zu Organisationen zusammen. Dabei gewann bald die landsmannschaftliche Organisationsform eine dominierende Rolle. Solchen Zusammenschlüssen stand allerdings die amerikanische Militärregierung in Bayern und zunächst auch die Bayerische Staatsregierung, die zwar einerseits an einer effizienten Flüchtlingsverwaltung interessiert war, aber das revisionistische Potential fürchtete, ablehnend gegenüber. Nach der Gründung von Landsmannschaften, die nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland offiziell ins Leben gerufen werden konnten, setzten, gerade in Bayern, bald Verhandlungen zur Bildung eines Dachverbands der Flüchtlinge und Vertriebenen ein. Der nach langwierigen Verhandlungen dann 1958 gegründete Bund der Vertriebenen (BdV) war vor allem das Werk Rudolf Lodgmans, der als Jurist und erster Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft damit politische Schlagkraft in der Flüchtlingspolitik gewinnen wollte. Der BdV wurde so auf- und ausgebaut: In ihm wurden die Mitglieder organisiert und die einzelnen Landsmannschaften integriert; er wurde auch für sämtliche die deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen betreffenden Fragen allein zuständig. Seine Entwicklung ist in den Akten des bayerischen Landesverbands, die in mehreren Chargen an das Sudetendeutsche Archiv kamen und die Zeit von der Gründungsphase  bis zum Ende der 1990er Jahre abdecken, bestens dokumentiert.

Schon um 1950 hatte Rudolf Lodgman von Auen mehrere Landsmannschaften zu den Vereinigten Ostdeutschen Landsmannschaften (VOL) zusammengeführt und dann 1952 den Verband der Landsmannschaften (VdL) gegründet. Sein Ziel, einen flächendeckenden Dachverband der Vertriebenen zu schaffen, erreichte er erst kurz vor seinem Rücktritt als Sprecher der sudetendeutschen Volksgruppe, als er den Verband der Landsmannschaften mit dem unter der Leitung des Rechtsanwalts Linus Kather stehenden Zentralverband vertriebener Deutscher (ZvD) und späteren Bund vertriebener Deutscher (BvD) zusammenschließen konnte. So konnte Ende des Jahre 1958 der BdV nach intensiven Verhandlungen, in denen das Austarieren der einzelnen Interessen als besonders schwierig erwiesen hatte, für Westdeutschland seine Tätigkeit aufnehmen. Die Mitglieder der einzelnen Landsmannschaften sollten nach den Abmachungen immer auch Mitglieder beim BdV werden. Dieser bekam als Dachorganisation die Rolle zugewiesen, auf Bundes- wie auf Landesebene die Landsmannschaften mit deren Interessen zu vertreten und zu integrieren. Neben dem BdV bestand auf Bundesebene der VdL zunächst noch fort, wie auch lange noch einzelne Gruppen des BvD aktiv blieben. Als Landsmannschaften organisierten sich neben den Sudetendeutschen (Sudetendeutsche Landsmannschaft), die Deutschen aus der Slowakei (Karpatendeutsche Landsmannschaft), die Schlesier, (Ober- und Niederschlesische Landsmannschaft), die Pommern (Pommerische Landsmannschaft), die Ostpreußen (Ostpreußische Landsmannschaft), die Deutschen aus Litauen (Landsmannschaft der Litauendeutschen), aus dem Baltikum (Deutsch-Baltische Landsmannschaft), aus Russland (Landsmannschaft der Russlanddeutschen) sowie die Banater Schwaben und die Deutschen aus der Batschka (Landsmannschaft der Donauschwaben), aus der Dobrudscha (Landsmannschaft der Dobrudscha- und Bulgariendeutschen) und aus Bessarabien (Landsmannschaft der Buchenwalddeutschen).

Wie auf der Bundesebene schlossen sich auch auf der Ebene der Bundesländer die Landsmannschaften zu BdV-Landesverbänden mit eigenen Satzungen zusammen. Der Bundesverband des BdV, der in Bonn seinen Sitz hatte und Weisungen an die Landesverbände geben konnte, nahm erheblichen Einfluss auf die Bundespolitik. Er vertrat nicht nur die für die politische Meinungsbildung zahlenmäßig sehr bedeutende Gruppe der Vertriebenen und Flüchtlinge, sondern forderte auch immer wieder die materielle Wiedergutmachung. Darüber hinaus achtete er darauf, die kulturelle Identität der Vertriebenen zu wahren, und mahnte immer wieder das Festhalten an den staatsrechtlichen Vorkriegsverhältnissen an.

Die Gründung des BdV-Landesverbands Bayern hatte sich zunächst verzögert und konnte erst am 5. Dezember 1959 offiziell auf der Konstituierenden Sitzung, die im Rahmen der damals abgehaltenen Landesversammlung des BdV anberaumt worden war, vollzogen werden. Dieses Datum gilt offiziell als Gründungsdatum des Landesverbandes, obwohl damals noch viele organisatorische Fragen ungeklärt waren. So kam es noch lange zu Richtungsstreitigkeiten. Vor allem in Oberfranken weigerten sich zunächst Gruppen und Ortsverbänden des BvD, sich aufzulösen und in den bayerischen BdV-Landesverband zu integrieren, wie sie dies vertragsgemäß hätten tun müssen. Dennoch konnte der bayerische Landesverband bald eine breit angelegte Aktivität entfalten und im Rahmen der Landesverbände eine Reihe eigener Akzente setzen.

Im bayerischen Landesverband des BdV spielte die Sudetendeutsche Landsmannschaft allein aufgrund der Anzahl der nach Bayern gekommenen Sudetendeutschen eine dominierende Rolle. Mit dem Wehrmachts-Oberst Rudolf Gertler als Vorsitzendem und mit Paul Illing als Schriftführer bekleideten zunächst Vertreter der Sudetendeutschen die leitenden Ämter des BdV-Landesverbands. Auch das einflussreiche Amt des Kulturreferenten war mit Reinhard Pozorny zunächst mit einem Sudetendeutschen besetzt, der aber wegen seiner politischer Belastung vorzeitig zurücktreten musste.

In der täglichen Arbeit des BdV-Landesverbands Bayern nahmen die Kontakte zur von der CSU geführten Bayerischen Staatsregierung breiten Raum ein. Der Landesverband arbeitete nicht nur in verschiedenen Gremien mit, sondern vertrat auch politische Konzepte, die denen der CSU ähnlich waren. Gerade die Mitarbeit in einer Reihe halbstaatlicher Gremien, wie in den Ausschüssen der Landesausgleichsämter oder im Rundfunkrat, ermöglichte dem bayerischen BdV-Landesverband eine weitgehende Einflussnahme in das politische Geschehen. Bei den bayerischen Landratsämtern waren für die Kreditvergabe Prüfungsausschüsse eingerichtet worden, die von den BdV-Kreisverbänden beschickt wurden und gegenüber dem Landesverband Rechenschaft ablegen mussten. Der BdV-Landesverband Bayern arbeitete schon bald auch mit dem halbstaatlichen Hauptausschuss der Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern zusammen und bildete auch einen parlamentarischen Beirat, dem mehrere Landtagsabgeordnete angehörten.

1964 wurde der langjährige Vorsitzender des Landesverbands, Erhard Plesch, in seiner Funktion von Walter Richter abgelöst, 1966 trat Rudolf Hilf als Landesgeschäftsführer die Nachfolge Erich Sperks an. Gerade Rudolf Hilf entfaltete große Aktivitäten und suchte das Gespräch mit der Politik, zumal damals im Rahmen der sich abzeichnenden neuen Ostpolitik die Frage der Aussöhnung mit den östlichen Nachbarn eine wichtige Rolle spielte. Einen Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze wurde im Zusammenhang mit dem Erscheinen eines Memorandums der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) zur Aussöhnung mit den östlichen Nachbarn und dem Versöhnungsangebot des polnischen Episkopats im Jahr 1965 erreicht. Auch in die Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition, die zur Anerkennung des Staus-quo führte, brachte sich der BdV-Landesverband Bayern wiederholt in die Debatten ein. Unter dem 1972 angetretenen Vorsitzenden des bayerischen Landesverbands, Fritz Wittmann, hielt man noch lange an den Konzeptionen fest, wonach die aus den deutschen Ostgebieten und aus Ost- und Südosteuropa vertriebenen Deutschen ein angestammtes Heimat- und Selbstbestimmungsrecht besäßen. Zu den völker- und staatsrechtlichen Veränderungen im Rahmen der Verhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung meldete sich der bayerische BdV-Landesverband nochmals vernehmbar zu Wort. Er befasste sich darüber hinaus mit der damaligen Aufnahme von deutschstämmigen Aussiedlern aus Osteuropa. Für die verbliebenen Deutschen forderte er „Volksgruppenrechte“ ein. Noch in den 1990er Jahren versuchte man, mit Kundgebungen und Delegiertenwahlen und -versammlungen weiterhin eine engagierte Verbandsarbeit zu betreiben, wenngleich der Zuspruch immer geringer wurde.

Im Jahr 2007 übernahm der bayerische BdV-Landesverband auf Weisung der Bayerische Staatsregierung die Aufgaben des schon 1972 de facto aufgelösten Hauptausschusses der Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern. Nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und der endgültigen Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als östliche deutsche Grenze sind die Probleme und Fragen, die eine Interessenvertretung der Flüchtlinge und Vertriebenen notwendig gemacht hatten, zum großen Teil obsolet geworden.

Gekürzte Version des Vorworts zu den im Bayerischen Hauptstaatsarchiv verwahrten Beständen des BdV- Landesverbandes. Autor: Helmut Demattio. Stand: 4. Oktober 2016.