Gemeinsame Veranstaltung: Forderung nach wirksamen Volksgruppenrechten – Oberschlesier und Sudetendeutsche erinnern an ihre Opfer

Von links: Andreas Lorenz, MdL, Christl Rösch in kuhländischer Tracht und SL-Kulturreferent Dr. Ulf Broßmann.

Mit einer gemeinsamen Gedenkveranstaltung erinnerten die Sudetendeutsche Landsmannschaft und der BdV-Kreisverband München an die Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg im Sudetenland und in Oberschlesien. SL-Kreisobmann Johann Slawik war es vorbehalten, nach dem Einzug der Fahnenabordnungen die über fünfzig Gäste im Sudetendeutschen Haus zu begrüßen, unter die sich auch Münchens CSU-Stadtrat Thomas Schmid und CSU-Landtagsabgeordneter Andreas Lorenz gemischt hatten. In Grußworten bekundeten beide Politiker ihre Solidarität mit den Forderungen der Heimatvertriebenen und verurteilten den Überfall der Russischen Föderation auf die Ukraine scharf.

Nach dem Totengedenken, das von der Leiterin der Böhmerwald-Kindergruppe, Birgit Unfug, durchgeführt wurde, oblag es dem Vorstandsvorsitzenden der Sudetendeutschen Stiftung, Dr. Ortfried Kotzian, an die Ereignisse nach 1918 zu erinnern. Dabei ließ er keinen Zweifel, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker bei den politischen Auseinandersetzungen zwischen Tschechen und Sudetendeutschen am 4. März 1919 und zwischen Polen und Oberschlesiern am 20. März 1921 verletzt worden sei. Bei den „Erbschaften des Ersten Weltkriegs“ sei es um Machtsicherung, Machtgewinnung, Landnahme und Manipulation von Volksgruppen im Sinne der beteiligten Nationalstaaten gegangen.

Von links: Renate Ruchty, Vorsitzende der Böhmerwaldgruppe München, Harfinistin Laura Fischnaller und Birgit Unfug.

Den 4. März 1919 bezeichnete Dr. Kotzian als die „Geburtsstunde der Sudetendeutschen“ als Volksgruppe. Als ethnische Minderheit hätten sich Deutschböhmen, Deutschmährer und Sudetenschlesier in der damals neu gegründeten Tschechoslowakei vereint, was in der Donaumonarchie zuvor nicht der Fall gewesen sei. Dieser Tag habe der Welt beweisen sollen, dass die Sudetendeutschen mit ihrer erzwungenen Eingliederung in den tschechoslowakischen Nationalstaat nicht einverstanden gewesen waren. Das weitere Schicksal der Sudetendeutschen, wie der Anschluss an das Dritte Reich oder die spätere Vertreibung, sei nur vor dem Hintergrund dieser Geburtsstunde zu begreifen.

Jahrhundertealt seien die Beziehungen zwischen Deutschen und Polen. Dabei handele es sich, so der Festredner, um „die schwierige Geschichte von Nachbarvölkern“, die unter dem Schicksal einer Mittellage in Europa gelitten hätten. Die „Epoche der Nationswerdungen“ hätte man mit machtpolitischen Mitteln auf Kosten der Nachbarn zu bewältigen versucht. Aus diesem Grunde sei das Verhältnis der beiden Nachbarvölker belastet gewesen. Die Leidtragenden wären vor allem jene Angehörigen der beiden Völker gewesen, die im Sprach- oder Staatsgebiet des jeweils anderen Volkes gelebt hätten.

Mit der Gründung des modernen polnischen Staates Anfang des 20. Jahrhunderts sei der Grundstein für eine bedeutende deutsche Minderheit gelegt worden. Die Volksabstimmung für Oberschlesien am 20. März 1921 hätte dazu entscheidend beigetragen. Bei dieser hatten zwar 59,6 Prozent der Wähler für einen Verbleib der Gebiete bei Deutschland und 40,4 Prozent für eine Abtretung an Polen gestimmt, trotzdem habe die „Pariser Botschafterkonferenz“ anschließend beschlossen, oberschlesische Gebiete, trotz des Votums für einen Verbleib bei Deutschland, entlang der Sforza-Linie zu teilen. Damit sei der größte Teil des Industriereviers unter polnische Herrschaft gekommen.

Die einstigen Ereignisse in Oberschlesien und in der Tschechoslowakei erinnerten Kotzian an die Geschehnisse auf dem Balkan in den 1990er Jahren und heute in der Ukraine. Im Frühjahr 2014 hätte Wladimir Putin die politischen Fehler des Westens für seine machtpolitischen Ziele erkannt und auf der Krim Fakten geschaffen. Russland habe das bisher autonome Gebiet der Ukraine zunächst aus historischen, machtpolitischen und strategischen Gründen beansprucht und anschließend nach dem vorgeschobenen Prinzip des Selbstbestimmungsrechtes der Völker aus „ethnischen Gründen“ zur Rückkehr ins Russische Reich gezwungen.

Es seien fatale Fehleinschätzungen des Westens im „Nachwende-Europa“ gewesen, die zu einer trügerischen Sicherheit bei den Menschen geführt hätten. Man ging lange davon aus, dass keine Kriege mehr geführt würden, sich die Demokratie durchsetze und nur die USA als Supermacht bestehen bleibe. Es stelle sich nun als Irrtum heraus, dass die Volksrepublik China „nicht so weit sei“ und in den Handel mit der freien Welt so eingebunden werden könne, dass keine Gefahr von ihr ausgehen könne. Zudem habe man die Kriege im ehemaligen Jugoslawien als regionale Konflikte fälschlicherweise herunter geschrieben. Mit der Kriegserklärung gegen den internationalen Terrorismus nach dem 11. September 2001 sei eine neue Möglichkeit zum Unterlaufen des Völkerrechts und der Menschenrechte eröffnet worden.

Nachdenklich stimmte Dr. Kotzians Feststellung, dass das Selbstbestimmungsrecht ein Versprechen enthalte, das nicht eingelöst werden könne. „Eine Welt, in der jedes Volk einen eigenen Staat bilden dürfe, aber nicht müsse und in dem jeder Mensch dem Volk seiner Wahl angehören könne, lasse sich zwar denken, aber nicht verwirklichen.“ Das Selbstbestimmungsrecht könne sich daher ohne Volksgruppen- oder Minderheitenrechte zu einem machtpolitischen Instrument der Nationalstaaten entwickeln und sei deshalb keine wirkliche Lösung für ethnische Konflikte.

In seinen Dankes- und Schlussworten erinnerte der oberbayerische BdV-Bezirksvorsitzende Paul Hansel mit Blick auf den drei Tage zuvor begangenen Frauentag, an das große Engagement der sudetendeutschen Frauen bei den März-Ereignissen. Dies werde auch daran deutlich, dass sich unter den 54 vom tschechischen Militär getöteten Deutschen 20 Frauen und Mädchen befanden. Weiter übte er heftige Kritik an der Diskriminierung der deutschen Minderheit in Polen, der man als einzige Minderheit den muttersprachlichen Unterricht in den Schulen um zwei Drittel gekürzt habe. Text/Fotos N.H.