Festlicher Rahmen: Urzelnzunft Geretsried erhielt BdV-Kulturpreis 2022 – Donauschwäbischer Chor und Nina Paulsen geehrt

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In ausgesprochen festlichem Rahmen wurden während der Zentralveranstaltung zum „Tag der Heimat“ der BdV-Kulturpreis 2022 und die zugehörigen Ehrengaben verliehen. Eine fünfköpfige Jury, von denen zwei Mitglieder durch das für die Heimatvertriebenen zuständige Staatsministerium und drei Mitglieder vom BdV-Landesvorstand berufen werden, wählt die Preisträger jährlich aus den eingereichten Vorschlägen aus. Heuer fiel die Auswahl offensichtlich leicht, da man mit der „Urzelnzunft Geretsried“, der russlanddeutschen Publizistin und Kulturjournalistin Nina Paulsen und der Donauschwäbischen Singgruppe Landshut herausragende Träger ost- und südostdeutscher Kultur präsentieren konnte.

Dem oberbayerischen BdV-Bezirksvorsitzenden Paul Hansel war es vorbehalten, während seiner Laudatio auf Nina Paulsen die Hintergründe des BdV-Kulturpreises zu erläutern. Dieser kann seit 2013, dank der Unterstützung durch den Freistaat Bayern, der BdV-Landesverband jährlich vergeben. Ergänzt wird er mit der Ausreichung von bis zu zwei Ehrengaben. Die Auszeichnungen werden vergeben für herausragende künstlerische, literarische oder wissenschaftliche Beiträge zu Themen der Vertriebenen und Spätaussiedler oder der deutschen Siedlungsgebiete in Ost- und Südosteuropa und für solche aus dem Bereich der Brauchtumspflege. Sie bestehen aus dem Hauptpreis, der mit 2.000 Euro dotiert ist, sowie den Ehrengaben, im Wert von jeweils 500 Euro.

Aus den Händen von Sozialministerin Ulrike Scharf, MdL, und dem BdV-Landesvor-sitzenden Christian Knauer konnte Urzelnmeister Peter Wagner den diesjährigen Kulturpreis für eine meist „lärmende Gruppe“ entgegennehmen. Seit nunmehr 35 Jahren wird der „Urzelnbrauch“ von der „Urzelnzunft“ in Geretsried ausgeführt. Er erinnert an eine Sage, die ihren Ursprung in der siebenbürgischen Stadt Agnetheln bei Hermannstadt findet. Als der damalige Marktfleck im Mittelalter erneut von den Osmanen belagert wurde, soll eine beherzte Agnethlerin mit Namen Ursula, im zotteligen Gewand mit einer Kuhglocke ausgerüstet und peitschenknallend aus der Kirchenburg gestürmt und die Türken damit erschreckt und vertrieben haben.

Einige, der in den neunziger Jahren nach Deutschland ausgesiedelte „Urzeln-Begeisterte“ nahmen ihre Anzüge aus Rumänien mit und beteiligten sich zunächst vereinzelt an Faschingsumzügen. Zum Urzeln-Anzug gehören neben dem Zottelgewand mit der mit Pelz besetzten bemalten feinmaschigen Drahtmaske, auf der eine möglichst schreckenerregende Fratze aufgemalt ist, ein Hanfzopf, eine bis zu drei Meter lange Peitsche, eine auf der Hüfte mit Lederriemen befestigte Kuhglocke, eine Holzquetsche für die Krapfen und für den Partenführer eine Rätsche. Der phantasievollen persönlichen Gestaltungskraft sind keine Grenzen gesetzt. Wichtig ist aber, dass dabei die Urform der Urzelnlarve nicht verändert wird. Die bei der Parade eingebundene Traditionsfigur des Reifenschwingers entstammt der Fassbinderzunft.

Diese Art der Brauchtumspflege ist bayernweit nahezu einzigartig und zeichnet sich durch die Pflege einer ganz speziellen Art südostdeutscher Kultur aus. In Deutschland gibt es außerhalb von Geretsried noch Urzelnläufe in Sachsenheim, Traunreut, Nürnberg, Weisendorf, Bonn-Niederholtorf und Wolframs-Eschenbach. Die Bedeutung dieses Brauchtums in Geretsried ist so groß, dass im Stadtmuseum eine Abteilung die Urzelnzunft dokumentiert, ein Kindergeschichtsbuch als „Protagonisten“ den Urzel verwendet und immer häufiger die Geretsrieder Urzeln als Gast in verschiedenen Kommunen zu einem Auftritt eingeladen werden.

Mit einer Ehrengabe wurde die aus der Altairegion in Westsibirien stammende Publizistin, Kulturjournalistin und Literaturkritikerin, Nina Paulsen, bedacht. Die Germanistin und Pädagogin arbeitete kurzzeitig als Deutschlehrerin und war in den Jahren 1977 bis 2000 Redaktionsmitarbeiterin einer deutschsprachigen Zeitung in Slawgorod. Sie wirkte mit bei  der Herausgabe des zweibändigen Lesebuches zur russlanddeutschen Literatur und war Herausgeberin des Erinnerungsbandes über den deutschen Schriftsteller und Pädagogen Victor Klein.

Seit ihrer Übersiedlung nach Deutschland im Jahr 2000 überzeugte sie durch zahlreiche Veröffentlichungen zur Kulturgeschichte und zur Integration der Russlanddeutschen in den Broschüren und Heimatbüchern der Landsmannschaft. Für den Historischen Forschungs-verein der Deutschen aus Russland verfasste sie die Broschüre „Wo unsere Toten ruhen, liegt unsere Heimat. Begräbnistradition der katholischen Russlanddeutschen“. 2016 erfolgte in der Eckart-Schrift-Reihe ihre Veröffentlichung „Die Deutschen in der Kaukasusregion. Verlorene Vergangenheit, die mit uns lebt“ und 2018 die Eckartschrift „Die Wolgadeutschen – zerstreut in alle Winde“. Ihr Buch „Begegnungen. Russlanddeutsche Autoren im Gespräch und Porträt“ stellt ein umfangreiches und bedeutendes Werk sowie einen großen Beitrag zur Pflege und Vermittlung der Kultur der Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion dar.

Nina Paulsen gehört zu den wichtigsten Stimmen, die über diverse markante Kulturereignisse aus den Bereichen Literatur, Kunst oder Theater kompetent und fundiert recherchiert berichtet. Ihre Kompetenzen schätzen nicht nur ihre Landsleute, sondern genauso angesehene und international bekannte Hochschulprofessorinnen und -professoren, die auf dem Gebiet russlanddeutsche Literatur bzw. Kultur forschen.

Ebenfalls mit einer Ehrengabe wurde die Donauschwäbische Singgruppe Landshut bedacht. Sie wurde 1994 als ein loser Verbund gegründet und tritt seit 2004 unter diesem Namen auf. Den rund dreißig Sängerinnen und Sängern gelingt es immer wieder, das Publikum, dank eines abwechslungsreichen Programms und der Qualität der Darbietungen, zu überzeugen. Motor und Ideengeber ist ihr Dirigent Reinhard Scherer, der in Bruckenau im Banat geboren wurde und 1983 nach Deutschland übersiedelte. Der ausgezeichnete Ruf des Chores ist auch der Grund, weshalb er bei Auftaktveranstaltungen zum „Tag der Heimat“, Gelöbniswallfahrten nach Altötting, sowie bei Empfängen des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und im Bayerischen Landtag immer wieder engagiert wurde.

Der Landshuter Chor pflegt unterschiedlichstes Liedgut, vom steirischen Komponisten Lorenz Maierhofer, über Johannes Brahms bis hin zu dem Siebenbürgener Komponisten Erich Georg Gagesch. Dass er nicht nur gesanglich glänzt, sondern auch seine Instrumente meisterhaft beherrscht, stellt er immer wieder in Solopartituren unter Beweis.

Die Ehrengaben wurden vom BdV-Landesvorsitzenden Christian Knauer, der FDP-Bundestagsabgeordneten Sandra Bubendorfer-Licht und dem Waldkraiburger Bürgermeister Robert Pötzsch überreicht.