Aktuelles Interview: Neue Heimatpflegerin der Sudetendeutschen Christina Meinusch bezieht Position

Die neue Heimatpflegerin der Sudetendeutschen Christina Meinusch bezieht Position.

Die Sudetendeutschen haben wieder eine Heimatpflegerin. Christina Meinusch hat die Aufgabe am 1. April 2021 übernommen. Im Interview mit der Sudetendeutschen Zeitung erklärte die Pädagogin und Volkskundlerin, was sie am Begriff Heimat fasziniert und welche Pläne sie hat.

Frau Meinusch, Glückwunsch zur neuen Aufgabe als Heimatpflegerin. Wie kamen Sie dazu, sich beruflich ausgerechnet dem Thema Heimat zu widmen?

Christina Meinusch: Das Thema Heimat bestimmt mein Leben, seit ich denken kann. Meine Eltern stammen aus Oberschlesien. Dort erlebten sie als Kinder den Krieg und die ersten Jahre der Nachkriegszeit. Erst in den 1950er Jahren kamen sie in die Bundesrepublik Deutschland. Ihr Weg führte über das Lager Friedland, im Saarland wurden sie in eine Wohnung eingewiesen, weiter ging es nach Berlin, Oberhausen im Ruhrgebiet und schließlich nach Bayern. Freunde und Familie stammten geschlossen aus der „alten Heimat“ und so war diese für mich schon als Kind bis heute allgegenwärtig.

Wie haben Sie diese „alte Heimat“ in der „neuen Heimat“ erlebt?

Meinusch: In mehrfacher Hinsicht. Zum einen in der Sprache. Meine Eltern sprachen wasserpolnisch, vor allem immer dann, wenn ich sie nicht verstehen sollte. Zum anderen beim Essen. Bei uns zu Hause wurde traditionell oberschlesisch gekocht. Lange dachte ich, die Sauerkrautsuppe meiner Mutter stünde auch in Franken auf dem Speiseplan, bis mir klar wurde, dass es sich um eine oberschlesische Spezialität handelte. Und natürlich im Brauchtum. Während meine Schulfreunde in Franken am Heiligen Abend Kartoffelsalat mit Würstchen aßen, gab es bei uns traditionell Fisch. Aber nicht nur Fisch, denn der Brauch aus der „alten Heimat“ besagt, dass zu einem erfolgreichen und glücklichen neuen Jahr noch weitere Zutaten nötig waren. Also aßen wir Linsensuppe und Mohn in Form eines köstlichen Mohnstriezels.

War dieses Anderssein für Sie als Kind eine Belastung?

Meinusch: Nein, im Gegenteil. Ich persönlich bin froh, dass ich nicht nur eine, sondern gleich mehrere Heimaten haben darf. Für mich ist Heimat die frühere Heimat meiner Familie, auch wenn ich nie dort gelebt habe. Meine Heimat ist aber auch Franken: die Region, in der ich aufgewachsen bin und mit meiner Familie einen großen Teil meines bisherigen Lebens verbracht habe. Heimat kann für mich aber auch jeder andere Ort sein, an dem ich mich wohl und vor allem zu Hause fühle. Herbert Grönemeyer hat das in seinem Lied „Heimat“ gut beschrieben:
„Zweisprachenland, entfernt verwandt
An
verschiedene Ufer gespült
Zum gemeinsamen Gelingen verdammt
Heimat ist kein Ort
Heimat ist ein Gefühl“
Ich glaube, diese Beschreibung gibt auch die Gefühlswelt vieler Vertriebenen und deren Nachkommen gut wieder.

Wie kam es dazu, dass Sie entschieden, sich auch beruflich dem Thema Heimat zu widmen?

Meinusch: Als ich mich nach meinem Abitur entschieden habe, Volkskunde zu studieren, erinnere ich mich noch gut daran, wie mein Vater zu mir sagte: „Aber nur, wenn du dich dann auch um die Vertriebenen kümmerst …“. Ich habe dann Volkskunde und Diplompädagogik studiert. Seit meinen Uni-Abschlüssen liegt mein volkskundlicher Interessenschwerpunkt auf den Themen Aberglaube und Brauchtum. Beruflich lag mein Fokus zunächst auf der Arbeit mit Jugendlichen als Diplompädagogin und später dann als Volkskundlerin im Museumsbereich.

Wann hatten Sie das erste Mal Kontakt zur Kultur der Sudetendeutschen?

Meinusch: Über ein Praktikum im Heimatmuseum der Braunauer in Forchheim kam ich das erste Mal auf beruflicher Ebene mit dem materiellen Kulturgut der Sudetendeutschen in Kontakt und lernte die sudetendeutsche Kultur kennen. Seitdem bin ich in Projekten dem Heimatmuseum in Forchheim und dem Heimatkreis Braunau/Sudetenland e.V. treu geblieben. Mit viel Freude habe ich die Bestände des Heimatmuseums inventarisiert und eine mittlerweile als Wanderausstellung produzierte Ausstellung mit dem Titel „(Nicht) Gekommen um zu bleiben. Braunau – Forchheim – Broumov. Vertreibung – Patenschaft – Partnerschaft“ kuratiert. Denn gerade an Ausstellungen hängt mein volkskundliches Herz. Und so sehe ich traurig den Ausstellungs- und Veranstaltungsbereich seit Monaten wegen der Corona-Pandemie brachliegen. Wir sollten diese Zeit aber auch als Chance nutzen, Neues entstehen zu lassen.

Welche ersten Themen wollen Sie als Heimatpflegerin der Sudetendeutschen angehen?

Meinusch: Ich möchte meine Arbeit als Heimatpflegerin der Sudetendeutschen mit einer neuen Wanderausstellung mit dem Thema „Heimatbild“ beginnen. Hier gibt es noch viele Fragen, die unbeantwortet sind. Wie wurde Heimat im Bild dargestellt? Wer hat Heimatbilder gemalt? Mit welchem Material wurde gearbeitet? Wer hat Heimatbilder gekauft? Wo wurden die Heimatbilder aufgehängt?

Wie kamen Sie auf dieses Thema?

Meinusch: Allein im Heimatmuseum der Braunauer finden sich hierzu zahlreiche Beispiele. Ein Heimatbild wurde auf bedrucktem Sackleinen gemalt, beliebte Motive finden sich als Serienproduktion gleich mehrfach sogar im selben Rahmen. Bestellen konnte man Braunauer Heimatmotive, beworben im Braunauer Rundbrief, auch gemalt auf Bastmatten. Und in der Nachkriegszeit wurden Bilder auch mal gegen Möbel getauscht. Von diesen besonderen Fundstücken und vor allem den Geschichten wird diese Ausstellung leben. An Ideen für die Zukunft sudetendeutscher Heimatpflege, zur Zusammenarbeit mit den früheren und den heutigen Bewohnern des Sudetenlands und vor allem zur grenzüberschreitenden Arbeit auch mit jüngeren Generationen fehlt es mir nicht. So faszinieren mich die Bereiche Märchen und Sagen, Mundart, Tracht und Brauchtum. Damit die Geschichte der Sudetendeutschen lebendig werden kann und bleibt, bin ich aber auf die Mitarbeit besonders von Zeitzeugen angewiesen.

Sie freuen sich also über möglichst viele Unterstützer?

Meinusch: Unbedingt. In der Vergangenheit ist schon sehr viel dokumentiert worden, aber ich möchte die neuen technischen Möglichkeiten nutzen, um das Leben und die Erinnerungen gerade der Zeitzeugen zu dokumentieren. Der Lauf des Lebens ist es leider, dass diese Menschen uns in ein paar Jahren nicht mehr erzählen können, wie sie ihre alte Heimat erlebt haben, was damals passiert ist und welche Folgen die Vertreibung für sie persönlich hatte. Mir geht es dabei aber generell nicht nur darum, Heimat zu bewahren und zu zeigen. Ich möchte Heimat insbesondere für die folgenden Generationen lebendig halten. Heimat ist eben nicht nur ein Ort, sondern vor allem ein Gefühl – auch für die kommenden Generationen.

Die Erstveröffentlichung dieses Interviews erfolgte in der Sudetendeutschen Zeitung, Folge 15 vom 16. April 2021.