In den letzten Monaten wurde immer wieder der Versuch unternommen, der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland zu unterstellen, keine klare Haltung zum Angriffskrieg der Russischen Föderation auf die Ukraine eingenommen zu haben. Ein „Faktencheck“ belegt das Gegenteil. Der BdV Bayern versucht durch den Abdruck von Passagen aus den monatlichen Schreiben des Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft, Johann Thießen, an die Mitglieder und Freunde der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, dies zu untermauern.
Bereits im März, als das Ausmaß des Krieges noch nicht endgültig absehbar war, hat der Bundesvorsitzende klar Stellung bezogen. Wir drucken dieses Schreiben nachstehend im Wortlaut ab:
Liebe Landsleute,
liebe Mitglieder der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland,
am 24. Februar ist das Unvorstellbare eingetreten: Russlands Regierung hat die Ukraine angegriffen. Es herrscht Krieg, mitten in Europa, direkt vor unserer Haustür. Als Landsmannschaft fühlen wir uns sehr betroffen, denn unsere Mitglieder kommen sowohl aus Russland als auch aus der Ukraine. Wir sind zutiefst erschüttert darüber, dass durch politische Machtspiele ein Keil zwischen die beiden Länder und die Menschen getrieben wird. Als Landsmannschaft der Deutschen aus Russland und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion verurteilen wir aufs Schärfste jegliche Art von militärischer Auseinandersetzung und Gewalt gegen die zivile Bevölkerung.
Wir dürfen nie vergessen, welches Leid uns die beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert gebracht haben! Unsere Vorfahren haben in der Sowjetunion als Deutsche durch Repressionen und Deportationen unsäglich leiden müssen. Wir erinnern uns noch gut daran, welche Schäden und Traumata der Hass anrichten kann. Wir wissen, welche verheerenden Folgen die Gewalterfahrungen noch für die folgenden Generationen haben können. Ein Krieg bringt immer Leid, Tod, Zerstörung und schürt noch mehr Hass. Im Krieg gibt es keine Gewinner, sondern immer nur Verlierer.
Ein Krieg trifft immer die Schwächsten: die Kinder, die Frauen, die älteren Menschen. Wir treten für die Interessen und Anliegen der in der Ukraine verbliebenen und lebenden Deutschen ein, die nun einer akuten Lebensgefahr ausgesetzt sind. Bereits am ersten Tag des Krieges veröffentlichte Dr. Bernd Fabritius, der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, eine Pressemitteilung, in der ein Härtefallverfahren für alle deutschen Spätaussiedlerbewerber aus der Ukraine zugesagt wird. Die Bundesregierung sichert die Prüfung der Aufnahme unmittelbar in Friedland zu.
Viele Frauen und Männer versuchen gerade sich und ihre Familien aus dem Kriegsgebiet zu retten. Die wehrfähigen Männer dürfen laut Berichten das Land leider nicht verlassen und werden zum Kriegsdienst eingezogen. Frauen, Kinder und alte Menschen müssen alleine fliehen. Sie brauchen dringend unsere Hilfe und Unterstützung! In diesen schwierigen Zeiten dürfen wir die Menschen nicht im Stich lassen! Wir stehen in einem ständigen Kontakt zu den Selbstorganisationen von Deutschen in der Ukraine. Die Menschen vor Ort und auch diejenigen, die sich gerade auf der Flucht befinden, brauchen dringend unsere Hilfe. Gemeinsam mit anderen Organisationen möchten wir Spendengelder für die Deutschen aus der Ukraine und ihre Angehörigen sammeln. Um eine Direkthilfe leisten zu können, werden dringend und kurzfristig Geldspenden benötigt. Diese werden ohne Abzug direkt zur Unterstützung von unseren Landsleuten, die sich auf der Flucht vor dem Krieg befinden, eingesetzt. Daher möchten wir alle um Spenden bitten! Lasst uns Frauen, Kindern und alten Menschen, die von diesem schrecklichen Krieg betroffen sind, gemeinsam helfen.
Die Spenden können Sie auf das extra dafür eingerichtete Konto des BdV überweisen. Der Krieg in der Ukraine liefert wieder jede Menge Stoff für Fake-News, die nun massenhaft in Umlauf gebracht werden. Wir appellieren an Sie, nicht unbedacht mit Informationen umzugehen und sich nicht auf hetzerische Stimmungen einzulassen. In dieser schwierigen Situation ist es von großer Bedeutung, trotz allem, zwischen Staat/Politik sowie dem Land und den Menschen zu unterscheiden. In den letzten Tagen sind in der Russischen Föderation abertausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen den Krieg in der Ukraine zu protestieren. Auf der ganzen Welt solidarisierten sich die Menschen mit der ukrainischen Bevölkerung. Das zeigt ganz deutlich, dass wir, die Zivilgesellschaft, diesen Krieg weder wollen noch brauchen! Wir wünschen uns eine friedliche Zukunft in Europa und auf der ganzen Welt: Für uns und vor allem für unsere Kinder. Unsere Gedanken und Gebete sind jetzt bei den Menschen in der Ukraine.
Im April beginnt der Bundesvorsitzende sein Anschreiben mit den Sätzen: „Wie gern würde ich meinen Beitrag mit guten Nachrichten oder erfreulichen Worten beginnen. Doch während dieser Text entsteht, tobt in der Ukraine leider immer noch der Krieg. Als Landsmannschaft der Deutschen aus Russland sind wir zutiefst bestürzt über die schrecklichen Ereignisse und Entwicklungen – nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Russland. Die Bilder des Grauens aus Butscha, Mariupol, Charkiw und vielen anderen Städte der Ukraine, aber auch von den Zuständen in Russland brechen uns das Herz und reißen bei vielen unserer Landsleute, die als Kinder die Schrecken des Krieges und der Flucht, die dunklen Zeiten der Repressionen und Diskriminierung erlebt haben, alte Wunden auf. Viele von uns haben Freunde und Verwandte in der Ukraine und in Russland. Schmerzerfüllt und hilflos müssen wir diesen Tragödien, der zunehmenden Angst und dem unsäglichen Leid zusehen.“
Im Mai heißt es dort: „Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine setzt die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland gegenwärtig alle ihre Kräfte ein, um den davon betroffenen Menschen zu helfen: Nicht nur denjenigen, die in den Kriegsgebieten ausharren müssen, sondern auch denjenigen, die in Deutschland eine Zuflucht suchen. Zu diesem Zweckwurde ein starkes Netzwerk aufgebaut, das von unseren ehrenamtlichen Mitarbeitern in unseren über einhundert Gliederungen auf regionaler und Bundesebene sowie den hauptamtlichen Mitarbeitern in den Projekt- und Migrationsberatungsstellen der Landsmannschaft getragen wird. Um unsere Arbeit in diesem Bereich stärken zu können, wurde zusätzlich eine Koordinierungsstelle eingerichtet. Diese wird seit dem 15. April von Eugenie Frank betreut, die über die nötigen sachlichen und sprachlichen Kompetenzen sowie das nötige Einfühlungsvermögen verfügt. Wir danken der Bundesregierung für die Ermöglichung dieser Projektstelle und freuen uns, damit vielen Menschen aus der Ukraine, die bei uns in Deutschland eine Zuflucht suchen, nun besser helfen zu können.“
Noch deutlicher wird der Vorsitzende in seinem Juni-Rundschreiben: „Ich selbst habe niemals einen Krieg erlebt, weiß aber aus Erzählungen älterer Landsleute, welche Schrecken damit verbunden sind. Ich bin daher der festen Überzeugung, dass es niemals einen Grund geben kann, ein anderes Land mit Waffengewalt anzugreifen und den Tod von Hunderttausenden zu verursachen. Wer dennoch den Krieg Putins gutheißt, verrät alle Werte der Menschlichkeit und macht sich zum Mittäter. Doch leider müssen wir inzwischen zur Kenntnis nehmen, dass weder diesem Krieg noch den Menschen – auch hier in Deutschland! – die ihn gutheißen, mit Worten allein beizukommen ist. Wir unterstützen daher den Beschluss der Bundesrepublik und anderer Länder, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen.“
Im Juli geißelt Bundesvorsitzender Johann Thießen die russische Aggression mit folgenden Worten: „Kein vernünftig denkender und einfühlsamer Mensch kann wirklich verstehen, warum die Russische Föderation seit Monaten ihren Krieg gegen die Ukraine führt. Keiner kann rechtfertigen, dass dem Machtstreben eines Despoten Menschen zum Opfer fallen und ihrer Existenz beraubt werden. Sämtliche Staaten, in denen Freiheit und Menschenwürde etwas gelten, haben ihr vernichtendes Urteil bereits gefällt. Und auch wir als Deutsche aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion wissen entweder aus eigener Erfahrung oder aus den Erzählungen unserer Eltern und Großeltern, was ein Leben unter diktatorischen Verhältnissen bedeutet. Wir stehen deshalb selbstverständlich auf der Seite aller demokratischen Kräfte in diesem Land, die klar zum Ausdruck gebracht haben, dass sie die russische Aggression aufs Schärfste verurteilen, und sich auf die Seite der Ukraine gestellt haben.“
Deutliche Kritik übt Thießen im Herbst an einem Beitrag im Südwestrundfunk (SWR) unter dem Titel „Russlanddeutsche – unsere fremden Nachbarn“: „So bedauerlich der Anlass auch ist, zeigt er doch ein weiteres Mal, wie wichtig die Aufklärungsarbeit unserer Landsmannschaft über die Deutschen aus Russland ist. Ich beziehe mich dabei insbesondere auf die Stellungnahmen zu einem Beitrag im Südwestrundfunk (SWR) unter dem Titel „Russlanddeutsche – unsere fremden Nachbarn? Bilanz einer schwierigen Integration“. Es ist nicht nur meiner Meinung nach durch nichts zu entschuldigen, dass in einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt in völlig einseitiger und geradezu verleumderischer Weise über die Deutschen aus Russland berichtet wird, die längst bewiesen haben, dass sie in jeder Hinsicht ein Gewinn für die Bundesrepublik Deutschland sind. In dem Beitrag aber wird der Eindruck erweckt, als handle es sich bei ihnen um Menschen, die sich weigern, die deutsche Sprache zu lernen, um Menschen, die Putins Angriffskrieg rechtfertigen, und um Menschen, die am liebsten Populisten der Marke AfD auf den Leim gehen………Für uns als Deutsche aus Russland, die in der ehemaligen Sowjetunion am eigenen Leib verspüren mussten, was es bedeutet, ohne jeden Schuld diskriminiert und an den Pranger gestellt zu werden, sind derartige Beiträge besonders schmerzlich. Sie lassen jede Objektivität vermissen und drängen Menschen, die in ihrer großen Mehrheit längst hierangekommen sind, an den Rand der Gesellschaft.“