Mit Nadja Atzberger hatte die Sudetendeutsche Landsmannschaft Aichach im Mitte Januar nicht nur eine junge, sondern vor allem eine ausgesprochen kompetente Referentin zu ihrem monatlichen Treffen gewonnen. Als Landesvorsitzende der „Karpatendeutschen Landsmannschaft Ruthenien“ berichtete sie fachkundig über die Geschichte der einst zu Ungarn gehörenden Region, zur Lage der deutschen Minderheit in der Karpatenukraine und über die langfristigen Auswirkungen des russischen Angriffskrieges. Als Kind eines deutschen Vaters und einer ukrainischen Mutter kam sie als 9-jähriges Mädchen mit ihrer Familie als Spätaussiedler nach Deutschland. Um die Kultur, die Traditionen und die Geschichte ihrer Landsleute nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, engagiert sie sich seit 2016 ehrenamtlich in ihrer Landsmannschaft.

Transkarpatien war für die meisten ihrer Zuhörerinnen und Zuhörer nahezu unbekannt. Die deutsche Besiedelung des Landes begann 1730 unter dem Adelsgeschlecht derer von Schönborn. Handwerker und Bauern folgten ihrem Ruf vorwiegend aus Süddeutschland und Böhmen, später auch aus Oberösterreich. Da man den Siedlern günstige Bedingungen und Land bot, erfuhr die Region als Teil des Habsburgerreichs fortan einen ungeheuren Modernisierungsschub. Um 1880 siedelten um Mukatschewo, überwiegend in deutschen Dörfern, knapp 32.000 Deutsche.
Wie in allen deutsch besiedelten Regionen der Sowjetunion begann der Exodus der deutschen Bevölkerung während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Viele Rutheniendeutsche wurden nach Sibirien deportiert, in den 1970er Jahren kamen die ersten Aussiedler vereinzelt nach Deutschland, nach 1990 begann schließlich die Welle der Aussiedlung. Heute leben lediglich noch etwa 3.000 deutsche Bewohner in der Karpatenukraine. Trotz fehlendem Sprachunterricht würden die Dialekte aber bis heute gepflegt und weitergegeben und die deutschen Feiertage gefeiert.
Unterstützung erhalten die dort lebenden Deutschen vom Auswärtigen Amt und ihren Landsleuten in der Bundesrepublik. Standen bis vor gut einem Jahr Heimattreffen und Reisen in die Westukraine im Mittelpunkt der Tätigkeit der kleinen Landsmannschaft, stehen seit dem Angriffskrieg Russlands die Unterstützung der deutschen Familien und der Binnenflüchtlinge im Mittelpunkt. Bereits zu Beginn des Krieges gab es viele Aktionen und Hilfssammlungen auch für Krankenhäuser und Kinderheime. „Auch heute bemühen wir uns die dortigen Organisationen zu unterstützen und mit ihnen Kontakt zu halten“ so Atzberger.
Abgesehen von der Ankunft einer immer größer werdenden Zahl von Binnenkriegsflüchtlingen sei die Karpatenukraine bislang von Kriegshandlungen verschont geblieben. Möglicherweise sei dies auf die überwiegend dort lebende ungarische Bevölkerung zurückzuführen. Die oftmals kritisierte „vorsichtige Haltung“ von Ungarns Staatspräsident Viktor Orban sei sicher auch auf dessen Fürsorge für die starke ungarische Minderheit in der Ukraine zurückzuführen. Bemerkbar machten sich jedoch seit kurzem die Auswirkungen der in der übrigen Ukraine zerstörten Infrastruktur. Die Stimmung sei zwar angespannt, der Zusammenhalt aber riesengroß. Selbst die russischen Bewohner in der Ukraine solidarisierten sich zwischenzeitlich klar mit der Mehrheitsbevölkerung und zeigten sich kämpferisch für eine unabhängige Ukraine. Perfekt scheint aber auch Putins Propaganda in den russischen Medien zu wirken. „Meine Verwandten in Moskau fragen uns besorgt, ob wir in Deutschland genügend zu essen hätten“, berichte kopfschüttelnd die Landesvorsitzende.